Zum 15. November 2021 ist Prof. Dr. Orkan Okan dem Ruf der TUM auf die neue Professur für Health Literacy gefolgt. Nach seinem Studium (Lehramt) an der Universität Duisburg-Essen von 2011 bis 2014 war er seit Februar 2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Postdoc Researcher am Interdisziplinären Zentrum für Gesundheitskompetenzforschung der Universität Bielefeld. Seit 2015 ist er zudem Projektleiter und Forscher im BMBF-Forschungsverbund „Health Literacy in Childhood and Adolescence“ (HLCA) und seit 2019 Projektleiter im BMG-Projekt „Health Literate Schools“ (HeLit-Schools).
In der Corona-Pandemie leitet er das Forschungsprojekt HLS-COVID-19 zur Untersuchung der Gesundheitskompetenz in den Bevölkerungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz (gefördert durch das BMBF und BMG und in Partnerschaft mit der Hertie School Berlin, Careum Schweiz und Gesundheit Österreich). Zudem hat er mit Kolleg_innen das internationale Forschungsnetzwerk COVID-Health Literacy gegründet, in dem Untersuchungen zur digitalen Gesundheitskompetenz in mehr als 50 Ländern durchgeführt werden (in Kooperation mit der Hochschule Fulda und der Universität Trier).
Der Erziehungswissenschaftler ist derzeit Vizepräsident der Sektion Gesundheitsförderung der European Public Health Association (EUPHA), stellvertretender Vorsitzender der Global Working Group on Health Literacy der International Union for Health Promotion and Education (IUHPE), Mitglied im Nationalen Aktionsplan Gesundheitskompetenz Deutschland, Mitglied der Forschungsgruppe der Schools for Health in Europe Foundation, Mitglied des International School Health Network (ISHN), Mitglied des UNESCO Chair Global Health and Education und Mitglied des Policy and Advocacy Board der International Health Literacy Association (IHLA) sowie Mitbegründer der Global Alliance for Health Literacy in Schools.
Lieber Herr Prof. Okan, was war ausschlaggebend für Ihre Entscheidung, vom Interdisziplinären Zentrum für Gesundheitskompetenzforschung der Universität Bielefeld an die TUM zu wechseln?
Die TUM ist eine ausgezeichnete Hochschule, eine Exzellenz-Universität und die Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften besitzt international einen hervorragenden Ruf im Bereich Public Health. Diese globale Ausrichtung von Forschung und Wissenschaft ist in der heutigen Zeit essenziell. Die Gesundheitskompetenzforschung ist ein relativ neues Forschungsfeld, aber seit vielen Jahren mein Spezialgebiet. Die Professur Health Literacy (Gesundheitskompetenz) ist zudem die erste ihrer Art in Deutschland und die erst dritte weltweit. Diese Gründe sind ausschlaggebend gewesen. Daher musste ich nicht lange überlegen, hierher zu wechseln. Die Freude ist immens, den Ruf erhalten zu haben, dem ich nun gern folge. Auch mein Interesse an der Zusammenarbeit mit den neuen Kolleginnen und Kollegen an der Fakultät sowie die disziplinübergreifende Kooperation mit der TUM School of Education und TUM School of Medicine, aber auch mit der TUM Hochschule für Politik, hat hierbei eine Rolle gespielt.
Welchen Eindruck haben Sie bislang von der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften?
Die Fakultät ist familiär, freundlich und unheimlich zuvorkommend und gleichzeitig zielorientiert, hochprofessionell und mit einer gesunden Vision hinsichtlich Public Health ausgestattet. Ich bin gleich sehr gut aufgenommen worden und spüre die Synergien, die hier vorliegen. Ich fühle mich jetzt schon sehr wohl und die Unterstützung von allen Seiten ist wahrlich sensationell – auch über die Fakultät hinaus. Der erste Eindruck ist ja stets der wichtigste Eindruck, der prägt und dieser war überragend.
Worauf freuen Sie sich mit Blick auf Ihre Arbeit an der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften am meisten?
Eine große Freude liegt für mich in der künftigen interdisziplinären Arbeit mit den Kolleginnen und Kollegen der Fakultät, die ein breites Portfolio unterschiedlicher Denkschulen, Disziplinen und Forschungstraditionen vertreten. Natürlich ist auch die Freude groß, die Lehre im Bereich Public Health im Allgemeinen und die Lehre im Bereich Health Literacy im Speziellen zu vertreten und diese dabei in den kommenden Jahren intensiv weiterzuentwickeln.
Zu welchen Themen werden Sie vor allem forschen?
Der Schwerpunkt der Forschung wird in erster Linie natürlich auf Gesundheitskompetenz liegen, konkret im Kindes- und Jugendalter und vor allem mit Bezug zur Schule und Bildung. Aber auch andere Zielgruppen stehen im Mittelpunkt. Es geht sowohl um die Entwicklung von Konzepten, Ansätzen und Methoden als auch die Durchführung von Surveys und die Umsetzung von Intervention. Bildungs- und gesundheitspolitische Untersuchungen sind aber genauso relevant. Derzeit läuft ein Projekt zur Gesundheitskompetenz im Setting Schule mit einem besonderen Blick auf Organisations- bzw. Schulentwicklung. In zwei internationalen Erhebungen wird die Gesundheitskompetenz von Schulleitungen sowie die digitale Gesundheitskompetenz bei Studierenden in Deutschland untersucht. Diese beiden Studien werden vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie durchgeführt und laufen parallel auch in anderen Ländern, um so Vergleiche zwischen Ländern zu ermöglichen. In diesen Projekten treten Universitäten, Berufsverbände und NGOs, aber auch regierungsnahe Organisationen als Partnerinnen und Partner auf. So auch in einer ähnlichen internationalen Studie in den deutschsprachigen Ländern, in der primär die corona-spezifische Gesundheitskompetenz, das Gesundheitsverhalten und impfbezogene Indikatoren im Erkenntnisinteresse liegen. Im kommenden Jahr sollen auch Untersuchungen zur digitalen Gesundheitskompetenz hinzukommen. Gesundheitliche Ungleichheiten und Lebenslagen stellen dabei Querschnittsthemen dar.
Gesundheitskompetenz hat insbesondere auch eine hohe Relevanz bei der Bewältigung der COVID-19-Pandemie – wie wichtig ist es, informierte Entscheidungen für die Gesundheit zu treffen?
Health Literacy, also Gesundheitskompetenz, umfasst die Fähigkeiten, die den Menschen das Finden, Verstehen und Beurteilen von Gesundheitsinformationen ermöglicht. Darauf basierend können sie dieses Wissen anwenden, um informierte Entscheidungen zu treffen und ihr Handeln und Verhalten danach ausrichten. Wir sprechen hier also im weitesten Sinne über eine gesundheitsbezogene Informationskompetenz. Während der COVID-19-Pandemie werden fortlaufend Informationen vermittelt, in der behördlichen und Public-Health-Kommunikation, über alle analogen, medialen und digitalen Kanäle, in der Familie, im Freundeskreis und der Peer-to-Peer-Kommunikation am Arbeitsplatz sowie überall in der Freizeit und in der Öffentlichkeit. Informationen zum Thema begleiten uns seit Beginn der Pandemie täglich. Unsere Studien zeigen, dass Menschen diese insbesondere über das Fernsehen, Radio, die Printmedien, das Internet oder die sozialen Medien beziehen. Und um genau diese Informationswelten und die darin auftretende Informationsvielfalt sicher navigieren zu können, braucht es Gesundheitskompetenz. Menschen können sich über Gesundheitskompetenz Wissen über COVID-19 aneignen und dieses in Lebenssituationen einsetzen. Sie können die Verhaltensregeln verstehen und umsetzen (z. B. AHA–Regeln) sowie Risikoeinschätzungen vornehmen. Die Informationen und Quellen, die so erschlossen werden, können einer kritischen Beurteilung unterzogen werden. Dabei ist auf Grund der vielen Halb- und Unwahrheiten sowie Mythen und Fake News, die immer stärker zirkulieren, die Fähigkeit wichtig, Informationen Fakten-Checks zu unterziehen und Fehl- und Desinformationen erkennen zu können. Gleichzeitig erleben wir seit zwei Jahren eine grenzenlose Infodemie – eine Informationsepidemie. Diese sorgt für ein signifikant erhöhtes Aufkommen an Informationen zum Thema COVID-19, sowohl richtiger als auch falscher Informationen. Menschen können in der gegenwärtigen Pandemie, die im digitalen Informationszeitalter stattfindet, ihre Gesundheitskompetenz im Lebensalltag, in der Gesundheitsförderung, Prävention, Versorgung und dem Infektionsschutz einsetzen und sich und andere schützen. Während Gesundheitskompetenz in den letzten Jahren sehr oft im Zusammenhang mit nichtübertragbaren Krankheiten diskutiert wurde, ist nun klar, dass sie auch im Kontext von übertragbaren Krankheiten zentral ist.
Und noch eine letzte Frage: Treiben Sie selbst Sport? Und wenn ja, welchen?
Ich fahre viel Fahrrad, gehe gern Wandern und versuche mich insgesamt fit zu halten. Früher habe ich Fußball im Verein gespielt und war dem Basketball sehr angetan, egal ob in der Halle oder auf den Betonplätzen im Freien.
Vielen Dank für das Gespräch!
Kontakt:
Prof. Dr. Orkan Okan
Professur für Health Literacy
Georg-Brauchle-Ring 60/62
80992 München
E-Mail: orkan.okan(at)tum.de
Text/Interview: Romy Schwaiger
Foto: Sarah Jonek (https://jonek-fotografie.de/)